Biogradska-Gora-Nationalpark, Montenegro
Betrachtet man die Flächenausdehnung, die Baumdimensionen, die Natürlichkeit oder die Schönheit, gehört Biogradska Gora definitiv zur allerersten Liga unter den Urwäldern der gemäßigten Zone Europas. Ziemlich außergewöhnlich ist auch, dass Biogradska Gora sehr leicht zu besuchen ist! Als der Herzog (später der König von Montenegro) Nikola Petrović diesen Wald im Jahr 1878 schützte, waren fast alle Wälder der Bjelasica-Gebirge unberührt oder fast unberührt; am Anfang wurde der Wald als königliches Jagdreservat genutzt und im Jahr 1952 zum Biogradska-Gora-Nationalpark erklärt1. 2021 wurden Teile vom Biogradska Gora zum UNESCO-Weltnaturerbe „Alte Buchenwälder und Buchenurwälder der Karpaten und anderer Regionen Europas“ aufgenommen. Es gibt ein paar kleine Wiesen, die in der Vergangenheit als Weiden und Heuwiesen genutzt wurden; vor 1878 wurde ein wenig Brennholz gesammelt2.
Das Urwaldreservat (16 km2) vom Biogradska Gora (54 km²) besteht aus einem Bergtal. Die berühmteste Sehenswürdigkeit vom Biogradska Gora, der wunderschöne kleine See Biogradsko Jezero, liegt in der Talsohle (Meereshöhe 1093 m). Der Urwald erstreckt sich aber auch unterhalb des Sees fast bis zur Talsohle des Tara-Schlusses auf ca. 900 m. Die Jahresmitteltemperatur beträgt 9°C im Tara-Tal3 und 5°C bei Biogradsko Jezero1. Die jährliche Niederschlagsmenge beträgt 1962 mm; Frühling und Herbst sind die regenreichsten Perioden, Juli die trockenste1 3. Grundgestein im Tal ist Vulkanit3; man kann aber auch dort reichlich weiße Steine sehen: zu den Grundgesteinen in den Höhenlagen gehört Kalkstein, der im Laufe der Jahre ins Tal gerollt ist und dadurch auch die Böden im Tal beeinflusst – ein häufiges Phänomen im Dinarischen Gebirge.
Laut der Nationalparkinformation3 wurden 86 Baumarten im Biogradska Gora gefunden, dies ist aber ein Übersetzungsfehler: sie meinen Gehölzarten einschließlich der Sträucher. Die wichtigsten Waldtypen sind ein Laubwald, der aus fast nur Rotbuche (Fagus sylvatica) besteht, und ein Mischwald, der hauptsächlich aus Buche und Weiß-Tanne (Abies alba) sowie in geringerem Maße Gemeiner Fichte (Picea abies) besteht. Andere Arten wachsen hier und da, z.B. Berg-Ahorn (Acer pseudoplatanus), Spitz-Ahorn (A. platanoides), Gemeine Esche (Fraxinus excelsior) und Berg-Ulme (Ulmus glabra). Auf den höheren Hängen wird Berg-Ahorn nach und nach vom Griechischen Ahorn (Acer heldreichii) abgelöst. Auf der Talsohle und um den See besteht der Wald hauptsächlich aus Buche, Weiß-Tanne, Fichte und Berg-Ahorn, aber viele andere Arten kann man ebenso finden, außer allen schon erwähnten (bis auf Griechischen Ahorn) z.B. Sommer-Linde (Tilia platyphyllos), Wildbirne (Pyrus pyraster) und Grau-Erle (Alnus incana). Am Ende des Sees um das Delta eines einfließenden Flusses (Biogradska Rijeka) wächst ein üppiger feuchter Wald, der hauptsächlich aus Esche und Grau-Erle zusammengesetzt ist – die riesigen Blätter von Gewöhnlicher Pestwurz (Petasites hybridus) bedecken den Waldboden. Zwischen diesem Wald und dem See gibt es einen noch feuchteren Wald: jährlich überschwemmte Bestände von Silber-Weide (Salix alba). Das Niveau des Sees wurde durch den Bau eines kleinen Damms am abfließenden Bach leicht erhöht. Trotzdem trocknet der See nach langen regenlosen Perioden teilweise aus, wie im Herbst 2019.
Südlich des Sees, versteckt auf einer leicht abfallenden Terrasse auf 1350 m Höhe inmitten eines ansonsten steilen Nordosthangs wuchs eine außergewöhnliche Weiß-Tanne, die 2018 von einer italienischen Gruppe gefunden und den Namen „Doria“ bekam4 (Bild rechts). Mit einer Höhe von 59,7 m und einem Umfang von 713 cm war sie nicht nur die höchste und stärkste bekannte Weiß-Tanne sondern auch der höchste bekannte Baum in den europäischen Urwäldern (außerhalb Russlands) und vielleicht der größte europäische Waldbaum gemessen am Volumen (Volumenschätzung von MB, anhand von Umfängen des umgestürzten Stammes: 60–65 m3). Aber war Doria ein neuer Fund? Laut einigen alten (unzuverlässigen) Rekordlisten hat Biogradska Gora eine Weiß-Tanne mit einer Höhe von 60 m und einem Durchmesser von 2,02 m 5 6 – wahrscheinlich der gleiche Baum! Doria fiel 2019 oder 2020. Von der Bruchstelle ist zu sehen, dass der Stammfuß komplett ausgefault war. Nicht weit entfernt gibt es auch andere sehr hohe und große Bäume: die höchste bekannte (59,0 m) Gemeine Fichte in einem Urwald (die allerhöchste Gemeine Fichte ist 62,7 m, wächst aber in einem ansonsten bewirtschafteten Wald), die stärkste bekannte einstämmige Gemeine Fichte (671 cm mit einer Höhe von 56,2 m) und eine der höchsten bekannten Berg-Ulmen (40,6 m) 7. Rund um den See staunt ein Baumliebhaber besonders über die riesigen Bergahorne wie auch ebenso neben dem feuchten Eschen–Erlenwald über zwei gigantische Eschen, von denen eine heute bereits auf dem Waldboden liegt. Weiß-Tanne und Fichte erreichen ein Alter von mehr als 400 Jahre und Buche mehr als 300 Jahre 1.
Durch seinen großen Abwechslungsreichtum an unterschiedlichen Lebensräumen ist Biogradska Gora ein sehr ästhetisches Gebiet: See, Fluss, Berge, unterschiedliche Waldgesellschaften, große Bäume, Hallenwälder und Wälder mit dichtem Krautschicht aus Pestwurz, Bärlauch (Allium ursinum) oder Wald-Sanikel (Sanicula europaea) – das alles findet man auf kleiner Fläche zusammen.
Direkt am See gibt es einen Campingplatz, der manchmal recht laut ist. Zum besseren Schlafen gibt es auch ein paar Hütten. Vom Campingplatz, wo sich ebenfalls der Parkplatz, ein Besucherzentrum und ein gutes Restaurant befinden, beginnt ein Wanderpfad um den See. Hinter dem See überschreitet der Pfad den obengenannten feuchten Eschen–Erlenwald auf einem Steg, welcher einen Meter über dem Waldboden gebaut wurde. Fast alle Besucher wandern nur diesen Pfad. Zusätzlich gibt es Wanderpfade zu den nördlichen und südlichen Kämmen. Ein Pfad entlang des Biogradska Rijekas auf die Bergen wurde in Karten markiert. Der Anfang dieses Pfades wurde ebenfalls im Wald markiert, aber der Pfad endet sehr schnell – der Rest ist überwachsen und unter umgestürzten Bäumen und Erdrutschen verschwunden.
KR, TM & MB
Referenzen:
- Motta, R. et al. (2015): Structure, spatio-temporal dynamics and disturbance regime of the mixed beech–silver fir–Norway spruce old-growth forest of Biogradska Gora (Montenegro). Plant Biosystems Vol. 149, No. 6, 966–975.
- Dieterich et al. (2020): Montenegro: Biogradska Gora. In Kirchmeir, H. & Kovarovics, A. (Eds.): Nomination Dossier to the UNESCO for the Inscription on the World Heritage List.
- Dožić, Bulatović & Vincek (1997): National Park Biogradska Gora. National Parks of Montenegro.
- https://www.gianttrees.org/it/alberi-giganti/doria-gtf
- Kala, F., Pers. Mitteilung
- Holeksa, J. et al. (2009): A giant tree stand in the West Carpathians—An exception or a relic of formerly widespread mountain European forests? Forest Ecology and Management 257, 1577–1585.
- https://www.monumentaltrees.com/de/